Gemeinschaft verWandeln – Wie ein neues Miteinander möglich wird (Interview)

Gemeinschaft verWandeln.
Heute habe ich die große Freude, ein Interview, das ich mit Tobi Rosswog geführt habe, mit euch zu teilen. Er gehört zu den Menschen, die mich unglaublich inspirieren und mit ganz viel Energie, Visionen und Herzensmut hinterlassen 🙂

Aber lest selbst…

 

Nach einem ganz bewegenden und erfolgreichen Crowdfunding verwirklicht ihr nun gerade eure Vision: Ein anderes Miteinander erschaffen – in einem Kollektivhaus. Was ist das Besondere daran?

Das Kollektivhaus ist für uns ein utopischer Freiraum, in dem wir in Gemeinschaft mit anderen Selbstverständlichkeiten experimentieren können.

Dieser Ort ist vegan, drogenfrei und vor allem tauschlogikfrei.
Damit spielt im Kollektivhaus Geld keine Rolle. Wenn es hier beispielsweise Seminare zum inneren und äußeren Wandel gibt, können Menschen einfach so daran teilnehmen oder mitwirken. Sie brauchen nichts zahlen oder eine andere Gegenleistung erbringen, sondern dürfen einfach bedingungslos partizipieren.

Es ist immer wieder eine urschöne Beobachtung, wenn die Menschen an diesem Ort aus intrinsischer Motivation aktiv werden und etwas gestalten. Neben den Seminaren gibt es außerdem noch Möglichkeiten, dass Aktions- oder Planungsgruppen sich hier treffen.

 

Und ihr lebt auch dort gemeinsam – ohne feste „Mieten“.

Ja genau, hier leben 10 bis 15 Menschen als Teil des Kollektivs für gelebte Utopie zusammen – das Ganze ist so funktional wie möglich. Das bedeutet, dass wir uns Schlafräume, das Büro und Kleiderraum teilen. Und auch die Menschen, die hier leben, brauchen keinen finanziellen Beitrag geben, sondern sind frei dazu eingeladen etwas reinzugeben, wenn sie das können und möchten, um die Fixkosten zu refinanzieren.

Wir möchten damit erreichen, dass kein Mensch einer fremdbestimmten Arbeit nachgehen muss. Deswegen leben viele von uns auch gemeinsame Ökonomie nach dem Motto: „Mein Geld, Dein Geld… Das sind doch bürgerliche Kategorien“.

Achja: Und da wir kein Auto haben, ist die Garage kurzerhand zu einem Umsonstladen umgestaltet worden, wo auch Menschen aus der Nachbarschaft oder Besuch einfach mitnehmen kann, was sie brauchen – natürlich ohne etwas dafür geben zu müssen. Viele weitere Besonderheiten sind bspw. der foodsharing-Fairteiler, der Lehmbackofen und die Draußenküche. Es befindet sich in Fußentfernung auch eine Badestelle und wunderschöne Natur mit einem großen Wald – echt paradisisch.

 

Was liegt dir daran am meisten am Herzen – und was möchtet ihr gemeinsam bewegen?

Mir schwebt vor, dass wir hier ein Ort des Wandels schaffen, der noch viel mehr utopisch organisierte Räume und inspirierende Projekte verwirklicht. Unsere Vision ist es, den inneren und äußeren sozial-ökologischen Wandel zu verknüpfen und mit Seminaren, Workshops und anderen politischen Aktionsformen in die Welt zu tragen. Wir wollen uns dafür auch mit Gruppen und Projekten mit ähnlichen Werten und Visionen vernetzen und eng zusammenwirken – gerne auch hier vor Ort weitere utopische Freiräume schaffen. Dabei ist es uns wichtig unsere Räumlichkeiten und Fähigkeiten zu teilen und Menschen so offen wie möglich zu empfangen durch gelebte Gemeinschaft.

 

Wow! Das stell ich mir als intensiven inneren und austauschlichen Prozess vor. Was ist eure Best-Practice-Erfahrung, wenn innerhalb eures Kollektivs Schwierigkeiten oder Widerstände aufkommen?

Ja, das ist sehr intensiv! Wir versuchen so achtsam und offen wie möglich miteinander zu kommunizieren. Jeden Morgen um neun Uhr treffen wir uns zu einem kurzen Check-In. Dabei teilen wir, wie es uns geht, was wir vorhaben und wo wir Unterstützung suchen, machen eine gemeinsame Minute der Stille und Dankbarkeit sowie einen kleinen spielerischen Impuls in den Tag. Wir versuchen fragend, spielend und experimentierend voranzuschreiten und sind uns dabei bewusst, dass wir alle unterschiedliche Bedürfnisse und Fähigkeiten haben.

 

Jetzt gerade seid ihr ja in der Umbau und Aufbauphase, an der man auch mitwirken darf. Welche (neuen) Räume sollen entstehen?

Es sollen noch Komposttoiletten, mehr Seminarräume und viele Kleinigkeiten entstehen. Zwar haben wir in dieser Gartensaison in der Gemeinschaft schon ein wenig pflanzen dürfen und bereits erste Zucchinis und Erbsen geerntet, aber da gilt es nun noch einiges fürs nächste Jahr vorzubereiten. Darüberhinaus gibt es noch viel Dachbodenfläche, die gestaltet werden mag. Das wird ein längeres, aber schönes Unterfangen. Nebenbei wird fleißig aus gesperrmüllten Holz gewerkelt oder geretteter Laminatfußboden verlegt sowie Wände gestrichen. Ein längerer Prozess 😉

 

Und welche Schritte stehen danach an?

Ich träume wirklich davon, dass wir noch mehr Freiräume schaffen, die sich dann noch spezialisierter beispielsweise um Lebensmittel kümmern. Dafür braucht es noch mehr Menschen, weil das Kollektivhaus mit den Menschen, die sich stark darauf beziehen und dann noch den ganzen Besucher*innen echt voll ist. Bin echt gespannt, was hier noch alles entstehen wird.

 

Gemeinschaft verWandeln und ein neues Miteinander schaffen – das verkörperst du für mich 🙂 Wie gibst du das weiter?

Mit fantastischer Freude, spielerischer Leichtigkeit, achtsamer Dankbarkeit und dabei gleichzeitig nicht die Augen verschließend vor den Herausforderungen unserer Zeit – so möchte ich es weitergeben und hoffe, dass es mir gelingt 😉

Das mache ich in Form von vielen Vorträgen und Workshops mit unserem BildungsKollektiv, mit dem Verwirklichen konkreter Projekte wie dem Kollektivhaus, um es erfahrbar zu machen und neuerdings auch mit einem Buch, welches ich auf Einladung des oekom Verlags schreiben durfte. „AFTER WORK – Radikale Ideen für eine Gesellschaft jenseits der Arbeit.“

Darin versuche ich neben einigen spielerischen Elementen und biographischen Impulsen im ersten Teil radikal kritisch den Arbeitsfetisch unserer Zeit zu hinterfragen und im zweiten Teil praktische alternative Ideen zu geben sowie auf Initiativen hinzuweisen, die jetzt schon versuchen „anders“ mit Arbeit umzugehen.

 

Und dein Buch wird ebenfalls ein Kollektivprojekt, richtig?

Sozusagen – es wird in der oekom Crowd versucht bereits vor der Veröffentlichung auf das Buch hinzuweisen und im Grunde können Menschen es vorbestellen und auch an andere Menschen oder Initiativen verschenken. Außerdem haben wir uns noch ein paar andere witzige Ideen ausgedacht 😉

Tobi, ganz lieben Dank für das Teilen dieser Herzensprojekte und für dein Wirken & Sein. Ich gehe jedes Mal unglaublich inspiriert aus unserem Austausch heraus!

 

Als Aktivist, freier Dozent und Initiator ist Tobi Rosswog für die sozial-ökologische Transformation unterwegs. Mit all seiner Zeit und Energie setzt er sich für den Wandel ein – hinzu einer Gesellschaft jenseits von Arbeit, Eigentum und Geld. Seit zehn Jahren ist er in diesem Sinne aktiv und lädt in rund 100 Vorträgen im Jahr zum Perspektivwechsel ein. Unter anderem initiierte er die Bewegung living utopia, das BildungsKollektiv imago und das Kollektiv für gelebte Utopie mit, um diese Ideen praktisch erfahrbar zu machen. Und aktuell schreibt er an seinem ersten Buch: AFTER WORK – Radikale Ideen für eine Gesellschaft jenseits der Arbeit.

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