Selbstmitgefühl – Wie du für dich da bist, wenn du dich am meisten brauchst

Selbstmitgefühl

Du bist gut so wie du bist.

Was fühlst du, wenn du diesen Satz liest? Welche Gedanken schießen dir in den Kopf?

Falls du diesen Satz ablehnst und dir tausend Gründe einfallen, warum er nicht stimmt, solltest du unbedingt weiterlesen. Denn nun begeben wir uns zusammen auf eine Reise zum Selbstmitgefühl – einer hilfreichen & wohlwollenden Haltung dir selbst gegenüber. Gerade dann, wenn gerade GAR NICHTS nach Plan zu laufen scheint. Gerade dann, wenn du an dir selbst zweifelst.

 

Selbstmitgefühl ist Teil von Selbstliebe – sozusagen für harte Zeiten. Es ist der Weg dahin, in den schwierigsten Momenten für dich selbst da zu sein.

Damit du in einen authentischen, natürlichen und ehrlichen Kontakt zu dir selbst treten kannst.
Damit du selbstfürsorglicher, selbstbestimmter und bewusster handeln kannst.
Damit du glücklicher (mit all deinen Herausforderungen) leben kannst.

Dazu wenden wir uns zunächst dem Ist-Zustand zu. Bist du bereit?

Wie redest du mit dir, wenn Dinge schlecht laufen?

Dein Partner kritisiert dich für dein mangelndes Selbstbewusstsein. In deinem Herzensprojekt unterläuft dir ein ziemlich blöder Fehler. Du vergisst den Geburtstag deines Lieblingsmenschen. Dir wird gekündigt, auf Bewerbungen bekommst du keine Rückmeldungen, das Arbeitsamt winkt. Du verguckst dich da in jemanden – und hörst nie wieder was von der Person. Auf einer Party kommst du mit niemandem wirklich ins Gespräch, während sich alle anderen sichtlich amüsieren. Nach einem zehrenden Arbeitstag verlierst du in deinem Lieblingssport, obwohl du alles gegeben hast.

Wie redest du mit dir? Welche Sätze, Wörter, Ausdrücke richtest du an dich selbst?

“Du bist so ein Vollidiot!”; “Sowas Dummes kann wirklich nur dir passieren!”; “Wie kann man sich nur so blöd anstellen!?”; “Irgendwie klar, dass dir das passiert – du bist ja auch einfach ~hässlich ~dumm ~unsicher ~inkompetent ~uninteressant ~unbedeutend…”

In unserer konkurrenzbelasteten Gesellschaft und dem ständigen Streben nach “Besser/Attraktiver/Witziger/…-sein-als-andere” sind Selbstabwertungen, Minderwertigkeitsgedanken und Selbstverurteilungen eigentlich nur die logische Konsequenz. Uns allen wird eingetrichtert wir seien nichts wert, bis wir nicht wirklich besser usw. sind. Bis wir Einkommen X erreicht oder Ansehen Z erlangt haben.

Doch selbst wenn dir Einkommen, Status & Ansehen gar nicht mehr so wichtig sind: Die gesellschaftliche Prägung wirkt lange nach! Was auch immer dein Ziel ist, die Art wie du mit dir redest, kann immer noch sehr selbstschädigend sein.

Vielleicht wertest du dich sogar dafür ab, dass du nicht glücklich bist! “Jeder ist glücklich, nur ich, ich krieg das nicht hin. Ist ja wieder typisch. Ich hab dieses und jenes Problem…”.

Das Ding ist:

All diese Situationen …Kritik, Fehler, Arbeitsverlust, Abweisungen… passieren – und sie werden dir passieren, bis du stirbst. (Tatsächlich wirst du immer vergesslicher, tauber, motorisch ungeschickter und arbeitsloser je älter du wirst).

Entscheidend ist daher nicht, dass “DIR so etwas doch nicht passiert!”

Entscheidend ist, dass du auf dieses Leid, das da ist, nicht noch einen draufsetzt. Sondern für dich selbst da bist, wenn du dich am meisten brauchst. Entscheidend ist, dass du innerlich hilfreicher reagierst, wenn eine schwierige Situation ist, wie sie ist.

 

Selbstmitgefühl

“Gut”, wirst du jetzt denken, “das leuchtet mir ja irgendwie ein. Aber was steckt nun bitte hinter diesem verweichtlichten Begriff Selbstmitgefühl?”

Das Schöne ist: Selbstmitgefühl ist ein wissenschaftlich fundiertes Konzept von Kirsten Neff, das sich in drei Kernaspekte aufteilen lässt.

Noch schöner ist: Dieses Konzept wird dein Leben transformieren. Denn es ist trainierbar.

Kernaspekt 1: Schmerz ist Teil vom Mensch-Sein

Wir alle machen Fehler. Wir alle machen schwierige Zeiten durch. Wir alle erleben Frust, Trauer, Selbstzweifel und Ohnmacht. Wir alle kennen Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit, Wut, Verweiflung und Angst.

Diese Gefühle sind Teil vom Leben. Sie gehören zum Mensch-Sein dazu.

Das wirklich Wichtige daran: Selbst den Menschen, die du beneidest, bewunderst oder in “völlig anderen Sphären” wähnst, als deine Wenigkeit, selbst denen geht es ab und an so. Sie zeigen es vielleicht nicht. Sie gehen möglicherweise sogar hilfreicher damit um. Aber sie erleben diese Gefühle.

Während eines Happiness Kurses, den ich für Freunde & Verwandte gab, teilte eine gute Freundin von mir ihre Verletzlichkeit. Sie berichtete davon, dass sie manchmal große Selbstzweifel hat – und was ihr dann hilft. Für eine andere gute Freundin war das eine revolutionäre Offenbarung. Nicht der Umgang, sondern die Selbstzweifel an sich. Sie war unglaublich überrascht, wie so ein wunderschöner Mensch (das ist sie wirklich, selbst nach 48 Stunden ohne Schlaf), mit so einer genialen akademischen Ausbildung und solch einem Charme Selbstzweifel haben konnte. Und plötzlich konnte sie ihre eigenen Selbstzweifel und Schwierigkeiten ebenfalls viel mehr annehmen.

Sobald du in Gedanken von “Nur ich”; “Typisch” usw. drinsteckst, isolierst du dich und das, was du erlebst, vom Rest der Welt. Anzuerkennen, dass das, was du durchmachst, Teil der menschlichen Existenz ist, verbindet dich hingegen mit allen anderen. Das ist der sehr große, sehr wichtige und unglaublich befreiende Unterschied zu unserer sonstigen Herangehensweise.

Zu dieser Erkenntnis kann dich ein zweiter Kernaspekt führen: die Achtsamkeit.

Kernspekt 2: Achtsamkeit

Achtsamkeit hilft dir zunächst einmal, zu bemerken, was ist. Der Schmerz, die Trauer, das Leid von anderen Menschen zum Beispiel. Deine Gedanken, die vielleicht sehr selbstschädigend sind. Und deine Gefühle, die du hast und die gefühlt werden möchten.

In der schwierigen Situation heißt das, solche Gedanken wahrzunehmen, die dich nicht weiterbringen, und sie bewusst loszulassen.

Wende dich dazu achtsam den Gefühlen zu, die da sind. Und lasse sie da sein. Erkenne sie an: “Ja, ich fühle mich frustriert, verzweifelt, entmutigt.” “Ja, das ist gerade richtig schwierig für mich.” Driftest du ab, oder verstrickst dich in sie, komme wieder bewusst zum Gefühl zurück, das du in deinem Körper spürst.

Achtsamkeit ermöglicht es dir, diese Gefühle in einem offenen, liebevollen, freundlichen Gewahrsein zu halten. Du verdrängst sie also nicht. Gleichzeitig lässt du dich auch nicht von ihnen mitreißen. Sich diesen Gefühlen zuzuwenden, statt sie beiseite zu schieben mag zunächst suspekt erscheinen. “Dann werden sie doch erst richtig groß!” magst du denken.

Nun, sie werden mit Sicherheit überdimensioniert groß, wenn du dich in sie hineinstürzt und von ihnen mitreißen lässt. Dann verschlingen sie dich sozusagen. Sie zu verdrängen hat aber ebenso gravierende Auswirkungen auf dich. Denn sie verdrängt zu halten, erfordert konstant Energie. Denn unser Körper reagiert auf diese Gefühle trotzdem mit der gleichen Stressantwort. Sie zehren in deinem Inneren an dir und sind damit eine Hauptvoraussetzug für Burnout-Erkrankung.

Achtsamkeit hat grandiose und doch paradoxe Eigenschaften. Dinge, die mit ihrem akzeptierenden, nicht-wertenden Gewahrsein betrachtet werden, dürfen so sein wie sie sind. Dadurch verlieren sie plötzlich ihre Bedrohlichkeit. Du merkst, dass du sie aushalten kannst, du merkst sogar, dass sie wieder vorbeigehen. Gleichzeitig, bist du ganz bei dir und für dich da. Das ist die transformierende Kraft der Achtsamkeit.

Kernaspekt 3: Freundlichkeit

Wenn du nun schon einmal so fühlst, und wenn du nicht die einzige Person bist, die solche Gefühle und Fehler kennt und tut, sondern wenn es wirklich JEDEM mal so geht, dann gibt es keinen Grund mehr, dich selbst abzuwerten. Selbstabwertung macht nur das: Dass du dich noch schlechter fühlst. Dass du dir jegliches Fundament für Änderung entziehst (zumindest in diesem Moment).

Versuche stattdessen, freundlich mit dir selbst zu reden. Welche Tonlage würdest du bei einem lieben Menschen anwenden? Welche Worte würdest du an ihn richten? Wähle einen Tonfall, wähle Worte, die dich unterstützen, die dich aufbauen. Worte, die du jetzt gerade brauchst.

“Es ist ok, dass du dich jetzt gerade so fühlst.”

“Ok, so hat es wohl nicht geklappt. Also auf ein Neues!”

“Puh, da warst du wohl ganz schön müde/unkonzetriert/im Stress. Was brauchst du jetzt gerade, damit es dir wieder besser geht?”

Wenn dir die passenden Worte nicht einfallen: Es geht um die freundliche und akzeptierende Haltung dir selbst gegenüber. Wie schaust du auf dich, wenn du dir selbst in dieser Haltung begegnest?

Es ist sehr natürlich, dass wir uns zunächst in Selbstabwertungsschleifen verfangen, bis wir schließlich bemerken, wie wir da mit uns reden. Achtsamkeit hilft uns auch dabei, genau das zu bemerken. Diese Abwertungsspirale kann zudem bereits Anlass sein, uns selbst freundlicher gegenüber zu treten. “Uff… Nun hast du dich selbst 20 Minuten lang abgewertet. Das tat ganz schön weh. Und auch die Situation gerade war wirklich ärgerlich, frustrierend, traurig. Es ist ok, dass dich das jetzt gerade mitnimmt.”

 

Warum Selbstmitgefühl so wichtig ist – Für dich und diese Welt

“In einem Gesellschaftssystem, das von Selbstzweifel profitiert, ist sich selbst zu lieben ein rebellischer Akt.” (SpiegelDich).

Diese Gesellschaft trimmt uns alle auf Vergleich, Konkurrenz & Leistung. So wird das System von Wachstum und Konsum aufrecht erhalten, in dem wir leben. Doch was macht das mit uns? Was macht das mit dir?

Zunächst einmal verunsichert es. Es verhindert, dass du dich selbst als Person annehmen kannst, so wie du bist. Nicht die beste Voraussetzung für persönliches Glück. Und es führt zu Selbstverleugnung. Mit dieser Prägung entsteht in uns ein Zwang, überdurchschnittlich sein zu müssen – für unseren Selbstwert. Für unser Glück.

Und das macht etwas mit unserem Handeln: Es führt zu Ersatzstrategien. Vergleichen, verstecken, kaufen, verdrängen, noch mehr von dir verlangen, angeben. Diese Strategien untergraben deine annehmende Haltung dir selbst gegenüber noch weiter. Sie untergraben dein Glück.

Doch lernst du, Schritt für Schritt, mitfühlender mit dir selbst umzugehen, Herausforderungen, Fehler und negative Gefühle achtsam anzunehmen und freundlich zu betrachten, spielst du plötzlich nicht mehr mit. Nicht das Konsum-Spiel; nicht das Karriere-Spiel. Nicht das “Wer-ist-die-Schönste-im-ganzen-Land”-Spiel, nicht das “Ich-bin-hier-der-King”-Spiel. Keine Macht-Spielchen. Keine Vergleichs-Spielchen. Keine Selbstverleugnungs-Spielchen.

Du kommst wieder in Kontakt mit dir selbst und dem was du wirklich möchtest und brauchst. Du kommst in Kontakt mit dem Reichtum deiner Menschlichkeit, mit all den Facetten, die dich ausmachen. Und du kommst in Kontakt mit dem, was dich mit allen anderen Menschen verbindet.

Damit setzt du nicht nur einfach ein Zeichen. Damit kannst du dich auch viel bewusster gegen weitere Nebenwirkungen dieser Spielchen entscheiden. Du kannst dich entscheiden, dich nicht mehr an Ausbeutung von Mensch, Tier und Erde zu beteiligen. An Konkurrenz und Abgetrenntheit in deinem Umfeld.

Und damit gibst du dieser Welt das zurück was sie am meisten braucht: Einen echten Menschen mehr.

 

Dein Weg beginnt

Wie kannst du dein Selbstmitgefühl aufbauen? Wie kannst du es stärken?

Dabei helfen dir die drei Facetten des Selbstmitgefühls. Und zu Beginn ist es das Entscheidendste, dass du dich an sie erinnerst. Dass du sie dir ins Gedächtnis rufst, wenn du sie brauchst. Dass du sie als Kernsätze “abrufbereit” hast.

Übung:

  1. Erinnere dich an eine leicht herausfordernde Situation der vergangenen Woche (nicht zu herausfordernd, damit sie dich nicht überwältigt!).
    Fühle in diese Situation noch einmal hinein. Wo warst du? Wer war da? Was ist passiert? Welche Gedanken gingen dir durch den Kopf? Welche Gefühle waren sehr präsent?
  2. Mache dir bewusst:
    1. “Dies war ein leidvoller Moment” (Achtsamkeit)
    2. “Das Erleben leidvoller Momente teile ich mit allen anderen Menschen” (Teil vom Menschsein)
    3. “Möge ich gut für mich sorgen” (Freundlichkeit)
  3. Halte die Situation und die Gefühle mit diesen Gedanken in deinem Gewahrsein in dieser offenen und mitfühlenden Freundlichkeit. Lasse die Gefühle da sein. Entspanne dich in die Betrachtung hinein.
Der Ernstfall

Die nächste schwierige Situation kommt. Und wenn sie eintritt, trete, sobald dir dein gewohntes Reaktionsmuster auffällt, mit dir in einen mitfühlenden Kontakt. Verwende die Sätze der Übung oder deine eigenen und rufe dir so die mitfühlende Grundhaltung zurück in dein Erleben.

Um diese Sätze schneller griff-bereit zu haben, kannst du sie dir gut sichtbar an die Wand hängen, auf deinem Handy einspeichern oder auf einem kleinen Zettel notieren und in jeder Pause durchlesen.

Aber…

Vielleicht kommt dir der Weg zu einem liebevolleren und freundlicheren Umgang mit dir selbst gerade unglaublich lang, oder sogar ungehbar vor.

Ganz wichtig: Es ist ok, dass du das gerade fühlst.

Und jede kleine, fürsorgliche Handlung zählt. Du bist mit dem Chaos in dir, den Schwierigkeiten um dich her überfordert? Dann gehe raus. Gehe in die Natur, sorge für frische Luft und Grün. Über die immense wohltuende Auswirkung der Natur für uns schreibe ich dir bald.

Bis dahin wünsche ich dir eine achtsame, freundliche und verbundene Zeit.

Alles Liebe,

Hoffnung

Nathalie

 

Ich freue mich sehr, mit diesem Beitrag an der Blogparade „Leben im Einklang mit sich selbst“ von kreativgedacht teilzunehmen. Es ist eine wunderbar bunte Vielfalt an Perspektiven zusammengekommen!

8 Comments on “Selbstmitgefühl – Wie du für dich da bist, wenn du dich am meisten brauchst”

  1. Pingback: Selbstliebe: Wie du die Liebe deines Lebens findest

  2. Pingback: BLOGPARADE: Leben im Einklang mit sich selbst - KreativGedachtKreativGedacht

  3. Liebe Nathalie,

    ganz lieben Dank für diesen wunderbaren Artikel! Er ist so einfühlsam und verständlich geschrieben und nimmt einen bei der Hand, um die Beziehung zu sich selbst zu stärken. Ich finde vor allem das gedankliche erinnern an die Freundlichkeit mir selbst gegenüber („Möge ich gut für mich sorgen“) sehr hilfreich, da ich auch oft dazu neige, mich zu kritisieren. Und so werde ich mir bewusst, dass ich mir das nicht mehr antun möchte.

    Wenn uns Beziehungen im Leben nicht gut tun, trennen wir uns von diesen Menschen (leider nicht immer, aber es wäre wünschenswert). Da wir die längste Beziehung in unserem Leben mit uns selbst führen, sollten wir auch in dieser wichtigsten, aber oft vergessenen Beziehung dafür sorgen, dass diese gut ist und uns von den Verhaltensmustern trennen, die ihr nicht gut tun.
    Liebe Grüße
    Bettina

    1. Liebe Bettina,
      vielen lieben Dank für deinen wertschätzenden Kommentar und deine Inspiration! Du bringst es wunderbar auf den Punkt: Wir sind die Person, mit der wir unser ganzes Leben zusammen sein werden. Wen sollten wir lieben, wenn nicht uns?
      Ich freue mich sehr, dass dich der Aspekt „Möge ich gut für mich sorgen“ berührt hat und hoffe, dass er dich bei der nächsten Herausforderung begleichten wird.
      Ganz viele liebe Grüße,
      Nathalie

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